Gesellschaft

Illustre Gesellschaft: Comic-Künstler schuf kultiges St. Georg-Porträt

„Schwulen-Viertel“ und Bischofssitz. „Klein Istanbul“ für die einen. Andere erinnert es an London. Hier Sexshops und Drogenumschlagplätze, dort schickes Alsterufer und Flaniermeile. Eine Lange Reihe, auf der „die Schönen und Reichen“ Schaulaufen, während Bettler und Punks vor der Bank auf Geld warten. Diese und viele Gegensätze mehr bietet St. Georg. Und damit Raum für Projektionen und Kreativität. Lockstoff für „bunte Vögel“, Künstler und Promis. Ein schriller, facettenreicher Stadtteil – wie gemacht für den Comiczeichner und Illustrator Uli Pforr . „Kontraste lassen sich besonders gut mit Comics herausarbeiten“, sagt der Künstler aus Wilhelmsburg. „St. Georg illustrated“ heißt ein kultiges Stadteil-Porträt, das er gestaltet und Marina Friedt mit Texten versehen hat.
Nach St. Georg kam Uli Pforr über den Kunstpreis Hansaplatz, der im vorigen Jahr zum ersten Mal unter rund 50 Teilnehmern ausgelobt. Mit einer Milieustudie machte der 32 Jahre alte Newcomer den 1. Platz. Das war der Ursprung, aus dem sich später die Idee zu dem Buch entwickelte, das zu einer bunten Entdeckungstour zu den Menschen von St. Georg einlädt. Nicht nur zu bekannten Gesichtern wie dem von Rathausfotografin Erika Krauß und Udo Lindenberg, zu Hans Albers, der hier geboren wurde, und Monika Bleibtreu, die in „St. Georg illustrated“ nochmal lebendig wird; Rolf Becker und Peggy Parnass nicht zu vergessen und Ina Müller, die neu hinzuzog. Daneben gibt das kleinformatige, aber 96 Seiten dicke Kunstbuch vielen weniger bekannten Charakterköpfen ein Gesicht: dem „Kindergarten-Cop“ etwa, der Prostituierten und auch dem verschleierten Moscheebesucher. „Für mich sind letztlich alle, auch die kleine Verkäuferin, kleine Promis geworden“, sagt Uli Pforr.

Entstanden ist das Ganze als Stadteil-Produktion: Der Bürgerverein ist Schirmherr. Ekkehard Thamm, Herausgeber des „St. Georg Magazin“ und Urgestein des Viertels, ließ seine Kontakte spielen und vermittelte Zugänge. Uli Pforr schaute, suchte, nahm auf, fotografierte und zeichnete seine Figuren. Diese montierte er in Fotos hinein. So entstanden Milieu-Collagen, in denen der Betrachter bei aller Überzeichnung der Figuren stets die Realität, in der sie sich bewegen, wiedererkennt. Die Journalistin und St.-Georg-Bewohnerin Marina Friedt fasste „die Geschichten dahinter“ in Worte. Michael Schulz vom Vor-Ortbüro bahnte den Weg für die Finanzierung des Drucks durch Stadteilbeirat und Spenden. Sie alle wünschen sich, dass sich noch ein richtiger Verlag findet.

Der Künstler selbst sah die Welt schon immer mit ganz eigenen Augen und musste dafür manche Hürde überwinden. Uli Pforr stammt aus Gottrupel, einem kleinen Dorf nahe der dänischen Grenze. Er malt von Kind auf an. Erst Dinosaurier, später Fantasiefiguren – und immer war klar, dass er Comiczeichner werden will und nichts anderes. Dafür zieht er nach Hamburg, in die große Stadt. Der Anfang war schwer, zumal für ihn, der sich anderen Menschen gegenüber lange sehr scheu und ängstlich fühlte, was ihm Probleme bereitete. Doch 2005 macht er seinen Abschluss als Kommunikations-Designer und Illustrator – als einer der bestens seines Jahrgangs. Stück für Stück ging es seither aufwärts. Er, der sich lange vor Menschen ängstigte und heute so offen wirkt, malt Menschen, immer wieder Menschen. Aber auch Fantasien und Träume. Mittlerweile füllt er auch große Leinwände. Inspirationen gewinnt er v.a. in den Rotlicht- und Szene-Milieus, aber auch in Obdachlosen- und Altenheimen. Sehr bunte expressive, teils verstörend wirkende Bilder mit vielen Einzelheiten entstehen unter seiner Hand. Viel zu viel Kunst eigentlich für sein ca. zwölf Quadratmeter kleines Atelier in Hammerbrook. Doch die Nachfrage nach seinen Bildern steigt. Mittlerweile gilt er als aufstrebender Nachwuchskünstler. Im November zeigt er Werke in Berlin, Lübeck, Karlsruhe und Hamburg.

Gut 300 Menschen aus St. Georg hat er in Comicfiguren verwandelt. Darunter auch die Promi-Stylistin Niko Kazal. Auch sie verwandelt Menschen. Und von den Comics ist sie begeistert: „Bunte Menschen mit Substanz und Akzeptanz. Grandios, ekstatisch, einmalig, das sollte man auch in anderen Stadtteilen machen!“

— Anke Hinrichs